Donnerstag, den 05. Juni 2008

Kastoria



Am frühen morgen war die Sonne noch hinter dem Horizont, das Meer war ruhig wie ein See, ein kleines Fischerboot tuckerte vorbei, erwartungsvoll von einer Möwe begleitet. Nur wenige Schritte waren nötig, um mich nach dem Erwachen in diesem Paradies wiederzufinden.

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Die aufgehende Sonne holte mich aus meinen Gedanken, sie übernahm das Regiment und die feinen Blaunuancen ertranken in flüßigem Gold.

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Während des Frühstücks lief die Maschinerie "Stellplatzwechsel" langsam an und kam auf Touren. Unser eigentlicher Plan sah vor, die kommende Nacht am Ostufer des Oridsees zu verbringen. Der Ostteil des Sees liegt in Mazedonien (ehemaliges Jugoslawien), der Westteil in Albanien. Dieser See ist 2-5 Millionen Jahre alt und gehört somit zu den ältesten, und mit 289m Tiefe auch zu den tiefsten Seen der Erde. In ihm lebt eine Fischart, die es sonst nirgendwo gibt.

Wir hatten die Rechnung ohne die vorgezogenen Parlamentswahlen gemacht, die am vergangenen Sonntag (1. Juni) in Mazedonien abgehalten wurden. Bei diesen kam es leider zu blutigen Zusammenstößen zwischen Mazedoniern und Albanern. Daher beschlossen wir, die direkte Grenze zwischen diesen beiden Völkern zu meiden und von Griechenland aus nach Albanien einzureisen. Durch die Änderung der Route war das heutige Tagesziel weiniger weit entfernt, das Tagespensum des darauffolgenden Tages wurde dafür bedenklich groß. Wir beschlossen, die kommende Nacht möglichst nahe vor der albanischen Grenze zu verbringen, allerdings nicht an den Zubringerstraßen des Grenzverkehrs. Es bot sich die Gegend um Kastoria an, von dort ist es bis zu Krystallopigi, der letzten griechischen Stadt vor Albanien, nicht sehr weit.

Für eine schnelle Anfahrt wählen wir die Route Thessaloniki, Veria, Neapolis, Kastoria, immer über Autobahnen oder gut ausgebaute Verbindungsstraßen. Nach zügiger Fahrt erreichen wir in der Mitte des Nachmittages Kastoria, wir hätten es auch locker eine Stunde schneller schaffen können. Schuld an der Verzögerung war ich. Ich habe im Navi mit verschiedenen Karten herumgespielt, weil aber "Jugend experimentiert" hier eindeutig fehl am Platz war, dauerte es nicht lange, bis ich am Rande von Kozani die richtige Abzweigung verfehlte. Statt drum herum ging's mitten rein! Und die Straße war eine Einbahnstraße, und die Einbahnstraße wurde immer enger. Wir näherten uns dem Stadtzentrum, deutlich erkennbar an immer mehr hektischer Betriebsamkeit. Und wir mit dem Womo mittendrin. Aber es ging vorwärts, die Situation zehrte schon etwas an den Nerven, wir wußten ja nicht, was vor uns lag. Dann war die Straße zu Ende, sie stieß auf eine größere, welcher wir statdtauswärts folgten, bis sich eine Gelegenheit zum Anhalten bot. Ich habe mit besorgtem Seitenblick zu Waldameise mein Navi-Experiment beendet, sie nahm es wohlwollend zur Kenntnis. Im großen Halbkreis um die Stadt erreichten wir die fragliche Abzweigung und ich erhielt eine zweite Chance; Bingo - geht doch, auf nach Kastoria.

Am südwestlichen Seeufer angekommen hielten wir, um einen ersten Eindruck von der schönen Lage der Stadt zu gewinnen. Kastoria liegt auf einer Halbinsel, mitten im See.

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Nach der vielen Fahrerei und mit üppigem Zeitpolster versehen, gönnten wir uns etwas Bewegung. Die Zufahrt zur Halbinsel war nicht schwer zu finden. Der große Parkplatz am Ende der Zufahrtsstraße hatte noch Platz für unser Gefährt, von da an bemühten wir unsere Beine.

Wie der Reiseführer verrät, ist Kastoria eine wohlhabende Stadt. Der Wohlstand beruht hauptsächlich auf der seit Jahrhunderten betriebenen Verarbeitung von Pelzen, besonders von Pelzresten. "Hier steht, daß das Zusammennähen von kleinen Pelzresten zu größeren Tafeln immer noch von kleinen Privatbetrieben gemacht wird; diese Betriebe kann man auch besichtigen", meinte Waldameise, ja, dachte ich, nur finden muss man sie, "wirkönnen ja mal sehen, ob wir einen dieser Betriebe aufspüren, sonst fragen wir uns einfach durch", war meine Antwort. Wo sucht man Handwerksbetriebe? Die, welche Tradition haben, müßten eigentlich in den alten kleinen Gassen in der Nähe des Zentrums zu finden sein - war unser Gedanke, und schon ging es Richtung Zentrum, steil bergan. Außer alten, mehrstöckigen Häusern, die am Hang klebten, alle Fensterläden geschlossen, leere Straßen und Gassen und immer noch steilere Treppen bergauf, war nichts zu erspähen.

Ich wollte schon die Hoffnung begraben, da sahen wir eine halboffene Tür, geblendet durch das helle Sonnenlicht wirkte der Raum dahinter düster, aber es drangen Stimmer heraus. Na prima, endlich können wir fragen. Bein Nähergehen sah man weiterin den Raum hinein. Solche Augenblicke sind schwer zu Beschreiben, es ist wie das sprichwörtliche Finden der Nadel im Heuhaufen. Wir haben aus reinem Zufall einen jener kleinen Betriebe gefunden, von denen ich - als Waldameise aus dem Reiseführer vorlas - glaubte, daß diese nur noch als Touristenattraktion am Leben gehalten werden. Als die Sprecher drinnen unsere neugierig gereckten Hälse bemerkten, wurden wir freundlich aber nachdrücklich zum Eintreten aufgefordert. Ich gestehe, mir fiel sofort ein weniger erfreuliches Erlebnis in Marokko ein, ebenfalls einer Einladung zum Ansehen von Teppichen folgend endete die Begegnung weniger erfreulich. Aber, dachte ich, kurz schauen kann nicht schaden, und den Photographen in mir hielten sowieso keine zehn Gäule draußen.

Wir betraten einen Micro-Kosmos (nebenbei, beides sind griechische Worte). Vier Männer begrüßten uns, alle hatten ein Lachen im Gesicht, die Werkstatt schien aus vergangenen Zeiten zu stammen. In der Mitte des Raumes lagen die fertigen Produkte: Rechteckige Felltafeln, jede nicht ganz 2qm, aus unzähligen kleinen bis kleinsten Fellschnipseln zusammengenäht.

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Durch die beim Nähen entstehenden Muster ergeben sich auf der Vorderseite ebenfalls Muster durch unterschiedliche Schattierung und Reflektion des Lichtes.

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Auf diesen speziellen Pelz-Nähmaschinen werden die Schippsel auf der Rückseite so vernäht, daß die Naht auf der Vorderseite nicht sichtbar ist.

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Die Einladung zum Kaffee nahmen wir freudig an, die Erinnerung an Marokko verblasste, diesen Gesichtern nicht zu vertrauen hieße, niemandem zu vertrauen.

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Diesem Herrn hier kam die besondere Aufgabe zu, einen Haufen Fellschnipsel in die Fächer für 10 verschiedene Farbnuancen zu sortieren, für mich sahen alle Schnipsel gleich aus.

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In solch einer Pelztafel steckt unglaublich viel Arbeit, und Materialkosten gibt es auch noch. Wenn man sich die Preise der fertigen Designermäntel ansieht, die in umliegenden Geschäften angeboten werden, kann man nur schwer glauben, daß die oben gezeigte Tafel aus schwarzen Fellresten nur 300 Euro einbringt. Nein, wir haben keine gekauft, ich könnte mich schon dafür begeistern, aber Pelze kaufen ist eben so eine Sache ... Jedoch haben wir die Adresse der Werkstatt und versprachen den Mitarbeitern, ihnen die fertigen Bilder zu schicken.

Dieser Besuch der kleinen Werkstatt ist eines jener Erlebnisse, welche immer in Erinnerung bleiben werden und das Leben bereichen. Noch immer unter dem Eindruck der Begegnung, stiegen wir den Hang hinunter, zum Seeufer. Wir entdeckten dabei eine Taverne, welche interessante Gerichte auf der Karte hatte und auch sonst einen gediegenen Eindruck machte, die freundliche Bedienung gab den Rest; hier werden wir heute abend unser letztes griechisches Mahl des Urlaubs zu uns nehmen.

Das Essen war geklärt, fehlte nur noch ein Stellplatz. Den zu finden erwies sich schwieriger als gedacht, rings um den See war die Suche erfolglos, aber südlich des Sees, auf der Straße nach Osten - die wir auf der Reise nach Hamokerasa befuhren- wurden wir fündig. Der Stellplatz lag gut versteckt am Ende einer Stichstraße, der einzige Nachteil, die Anfahrt, morgen früh zur Grenze, verlängerte sich um weitere 20 Minuten. Der Wegpunkt war im Navi schnell gesetzt und so auch im Dunkeln leicht zu finden. Wir machten uns hübsch und fuhren zurück nach Kastoria, um uns mit einem vorzüglichen Essen von Griechenland zu verabschieden.